Brandis, Christoph; Bürgermeister [1578-1658] Der Rüthener[1] Bürgermeister Christoph Brandis hat in seinem Kriegstagebuch Aufzeichnungen über das Verhalten einquartierter hessen-kasselischer Soldaten vom 12.3. bis 9.7.1636 hinterlassen. Die während des Kriegsverlaufs in den den befestigten Städten kontinuierlich folgenden Einquartierungen unterschiedlicher Truppen – gleich ob Konfessionsbrüder oder -gegner – brachten den betroffenen Bürgern stets die gleichen wirtschaftlichen und sozialen Belastungen, mussten doch die in den Bürgerhäusern logierenden Soldaten (nebst Pferden und Begleitpersonen) von den Hausbesitzern vollständig ausgehalten werden. Das Verhalten der einquartierten Soldaten gegenüber ihren unfreiwilligen Gastgebern war dabei völlig willkürlich, immer unberechenbar, zumeist ohne irgendwelche Einflüsse oder Konsequenzen durch die Truppenführung und entsprach durchweg den individuellen, durch den Krieg beeinflussten Naturellen und Charakteren. Brandis selbst erlebte diese unterschiedlichen Arten soldatischen Verhaltens.
Den 12ten Maerz (1636) Hauptmann Dickmann mit seiner Kompagnie hier eingekommen. Ein Bothe welcher sie von Buehren[2] (b. Ein Staedtchen im Paderbornischen) herbrachte, meldet nicht viel gutes von ihnen. Sie haben ehegestern 2 Haeuser angestekt. Heut Abend sprach ich mit dem Hauptmanne auf dem Rathhause, er ist ein trotziger Herr und hat fehl am rechten Fuße. Ich habe einen Unteroffizier im Hause, er scheint kein uebler Mann zu seyn.
Den 15ten Maerz. Mein Nicolaus Seiffert aus Ziegenhain[3] gebuertig ist ein recht braver Mann. Heut Mittag, als wir eben um 12 Uhr ein wenig essen wollten, kam ein Soldat und hohlte uns alles Essen vom Tische und nahm auch noch unseren ganzen Vorrath an Brod mit, in 4 bestehend. Als ich ihm sagte, es seye für meine Einquartierung gab er mir auf dieses Wort einen Hieb mit einem dickenden Pruegel sagend: Du verfluchter Kerl dein Antikrist kann bethen daß du etwas anderes be-kommst. Seine paebstliche Heiligkeit pflegen die Anhaenger der neuen Lehre [= Protestanten] durchgehends Antichristum zu nennen. Kaum war dieses geschehen, so kam mehrbemelter Seiffert nach Hause, ich erzaehlte ihm alles hinzufuegend, ich koenne ihm nichts zu essen mehr vorsetzen, sondern er mueßte mit mir bis auf den Abend warten, wo ich sehen wollte et-was herbeizuschaffen. Er war damit friedlich, gieng aber heraus und nach einer Stunde kam er mit Fleisch, Brod und einem Krug Wein wieder und theilte alles mit mir, sagend es seye seine Manier so, wenn der Wirth nichts habe, so traktire [= beköstige] er den Wirth. Wenn alle Voelker [= Truppen] so waeren, so koennte man die Kriegerjahre noch wohl aushalten.
Den 7ten April geschah eine schaendliche That. Rein Soldat Namens Mathes quartirte in D-s Hause (c. Da der Name dieses Buergers noch wirklich in Ruethen existirt, so fand ich vor gut ihn hinweg zu lassen.). Dieser Mathes hatte ihn schon vorher durch Einschlagung der Fenster, Thueren und Tischen, ja selbst durch schwere Pruegelsuppen viel molestiert [= belästigt], nun fehlte pro coronide ceterarum crudelitatum [= als Krönung weiterer Gefühllosigkeiten] noch das schlimmste. Am 7ten Morgens, als mehrbesagter Mathes noch auf der Buehne [= dem Lagerboden] lag, rief er herunter, man sollter ihm einen Pott voll Milch bringen oder er wollte alles zusammenhausen. D. schickt seine Tochter ein wackeres 17 Jahr altes Maedchen, ins Nachbarshaus, um welche zu bekommen. Weil nun das Maedchen ein wenig lange ausgeblieben, hat der Mathes destomehr gelermt, bis sie endlich gekommen und ihr Vater ihr gesagt: Sie sollte es dem Soldaten hinauftragen. Sie war iussu Patris [= auf Geheiß des Vaters] kaum heraufgekommen, als sie der Mathes zu seinem Willen haben wollte, sie wehrte sich, so gut sie konnte, und rief nach Huelfe, der Soldat aber stak ihr die geknueffte (geballte) Faust ins Maul. Indeß hatte der Vater doch etwas davon gehoert, er eilte mit seiner Hausfrauen herauf, Mathes aber hatte die Thuer schon zugeschallert [= zugeriegelt], und die armen Eltern mußten durch ein Loch, das Mathes schon einige Zeit zuvor in die Thuer gehauen hatte, ihr eignes Kind schaenden sehen ohne ihr helfen zu koennen. Der Kerl hatte ihr benebens [= dabei] die rechte Brust (d. Im Original steht eine andere bloß in Westfalen uebliche Benennung.) weil es sich vermuthlich zu stark gewehrt hatte, ganz und gar aufgerissen, so daß ein ganzes Stueck nachhero herausgefallen, und das Maegdlein ganz unmenschlich zugerichtet, unter un-aufhoerlichen Schmerzen 14 Tage darauf verstorben. Der Vater gieng heute mit mir zu dem Hauptmann, um sich wegen des mehr besagten Mathes zu beklagen; aber er gab uns trozig zur Antwort, wenn es einmal todt seye, koenne er nicht mehr helfen. Er bestrafte auch den Mathes keinesweges, sondern ließ ihn, wie andere frei herumgehen. Der Vater ist untröstlich, und jedem dauert das arme Maegdlein, requiescat in pace [= Möge es in Frieden ruhen !].
Den 27ten May, der Oberst Wachtmeister Lettenberger zu Dickmann eingekommen. Lettenberger hat den 29. ejusdem einen hiesigen Zimmermann die Hand abgehauen, weil dieser uhn nicht so geschwind sehend, den Hut nicht abgenommen hatte. Einige wollen sagen: Er seye mit der Mund gegen den Oberstwachtmeister ein wenig grob herausgefahren, dieses kann auch wohl seyn, obschon ich es nicht wohl difiniren [= behaupten] kann besagter Lettenberger war so uebel nicht, dann er rettete noch an diesem Tage eine Scheuer an der Porte, welche etliche von der Mannschaft anstecken wollten, um, wie sie sagten, ein Feuerwerk zu machen.
Den 9. July endlich sind Dickmann und Lettenberger mit ihren Mannschaften aufgebrochen. Die Stadt freuete sich sehr, dann sie hatten uns an Contributionen 8976 Rthl. 24 Gr. abgepresset und dabei vier Monate lang erschrecklich mitgenommen. Wann ich haette alle veruebte Grausamkeit aufschreiben wollen, so haette ich ein ganzen Volumen [= Buch] schreiben muessen. Doch muß ich sagen, daß sie es lange nicht so schlimm gemacht, als der hessische General Melander [Holzappel; BW], wie oben des breiteren geschrieben stehet, ich war mit meinem Seiffert bis ans Ende zufrieden gewesen, und wir hatten kein uneben Wort zusammen gebrochen, nur einmal, als ich auf einen Saterdag kein Fleisch mit ihm essen wollte, ob ich gleich wohl weiß, daß man in Kriegsnoethen dergleichen wohl thun darf, (laesterte) er wegen dieses Gebotes die heilige Kirche entsetzlich. Er war sonst ein braver Mann“.[4]
[1] Rüthen [LK Lippstadt]; HHSD III, S. 659f.
[2] Büren [LK Büren]; HHSD III, S. 131ff.
[3] Ziegenhain; HHSD IV, S. 483ff.
[4] CONRAD; TESKE, Sterbzeiten, S. 308ff.