Ziel, Peter van; Obrist [ – ] Ziel [Zyl] war ein calvinistischer holländischer Adliger und Kommandant einer in französischen Diensten stehenden, seit dem Juni 1642 in Kempen[1] einquartierten staatischen Besatzung, die Guébriant bei seinem Abmarsch vom Niederrhein im Oktober 1642 nicht an die Hessen abgetreten hatte, sondern unter seinem Oberbefehl dort zurückgelassen hatte. Erst im Mai 1643 konnten hessische Truppen in Kempen einrücken.[2] In der Chronik des Adolff Wilhelm Moerbecke zu Stevening [1611 – 1675] heißt es: „Umtrent desen tyt hebben die Hessen wederumme haer volck in die stat Kempen gelacht, ende ist het volck, so in’t verleden iar in den voersommer (gelick vermeldet ist) van den Staten affgedancket ende under het geleet van den oversten Zyl in nahmen des konninges van Franckryck daringelacht was, wederum darut ende in Staten dienst genahmen“.[3]
Der katholische Chronist Wilmius aus Kempen schreibt dazu: „Am letzten Mai [1642; BW] zogen die noch in Kempen stationierten Weimarer und Hessen zur Freude aller Bürger fort und marschierten in Richtung Köln.[4] Doch nach kurzer Zeit gings wieder zurück in Richtung Erft,[5] wo sie ihr Lager aufschlugen. Die Holländer lösten sie bei uns ab und legten namens des französischen Königs eine Besatzung in die Stadt Kempen. Ihr Befehlshaber war ein Adeliger mit Namen N. Ziel. Er zeigte eine humanere Haltung als er den Jammer und das Elend der Stadt sah, und richtete nach Art der Holländer, die von Natur aus rücksichtsvoller sind, ein leichter zu ertragendes Stadtregiment ein. Die meisten geflüchteten Bürger, die anderswo planlos umherrirrten, ließen sich durch das bessere Klima in ihrer Heimatstadt anlocken und kehrten nach Hause zurück“.[6]
„Am Tage nach dem Fest Johannes des Täufers erfuhr ich von dem Herrn Schultheiß Leonius, daß im Kriegsrat beraten und erwogen worden sei, ob zur Rettung der Stadt Kempen oder vielmehr der Burg, das in nächster Nähe der Burg gelegene Franziskanerkloster bestehen bleiben kann oder nicht. Die Entscheidung über das Schicksal des Klosters lag ganz in Händen des neuen Stadtkommandanten von Ziel, eines Calvinisten. Sollte ihm an einem Fortbestand wenig gelegen sein, so ist zu befürchten, daß es alsbald dem Erdboden gleichgemacht wird. Dabei spielt es keine Rolle, daß es noch ganz neu ist. […] Anfang Juli desselben Jahres wurde den Franziskanern in Kempen durch einen Befehl des Kommandanten nahegelegt und aufgetragen, den großen Flügel, der zum Burgplatz vorspringt, abzubrechen, weil er zu nahe an die Burg, die erhalten bleiben müsse, heranreicht und einem feindlichen Angriff auf die Burg sehr zustatten käme. Die Patres empfanden es als frevelhaft, dem Befehl Folge zu leisten und wandten sich in ihrer großen Not an den Grafen Guébriand, einen Katholiken, der sich im Lager bei Uerdingen[7] befand, und baten ihn um Schonung des Gebäudes. Doch vergebens ! Sie mußten den Flügel bis auf den Erdboden abtragen. So wurde ein ansehnlicher Teil des in den letzten Jahren errichteten Klosters vollends wieder beseitigt zum bitteren Schmerz der Katholiken und zum großen Triumph der Calvinisten“.[8]
„Am 2. September kam der calvinistische Prediger von Krefeld[9] mit mehreren Gesinnungsgenossen zurück und wandte sich mit der Bitte an den Kommandanten, sein listiges, vor einiger Zeit in Kempen begonnenes Unterfangen fortsetzen zu dürfen. Unter dem Geleit von Bürgern, die von dem Sauerteig der neuen Lehre durchdrungen waren, kam er um 3 Uhr nachmittags mit dem Kommandanten und anderen Offizieren zum Hospital. Er schickte einen Insassen des Hospitals zu mir und verlangte die Herausgabe des Kirchenschlüssels. Nach vorsichtiger Überlegung gab ich zur Antwort, dem Wunsch nicht mit gutem Gewissen nachkommen zu können, bevor ich nicht einen Befehl seiner Exzellenz, des Grafen Guébriand, gesehen hätte. Da schickte der Kommandant, ob meiner Antwort sehr erregt, einen seiner Offiziere mit mehreren Musketenmännern zu mir, welche die Schlüssel mit Gewalt beschlagnahmen sollten, falls ich sie nicht freiwillig auslieferte. Ich holte mir zwei Zeugen und erklärte in deren Gegenwart, mit Gewalt zur Herausgabe der Kirchenschlüssel gezwungen worden zu sein. Doch gab ich sie nicht dem Offizier, sondern dem Bürgermeister Honneken, in seiner Eigenschaft als Hospitalmeister. Er war zufällig bei mir. Gerade war Honneken im Begriff, sich von mir zu verabschieden, da kam ein Fähnrich des Kommandanten mit der Aufforderung, zum Rapport zu kommen. Ich nahm allen Mut zusammen und ging ohne Zögern unter dem Geleit des Offiziers und der Musketenmänner vertrauensvoll zu ihm in die Hospitalskirche, die er durch eine Hintertür bereits betreten hatte. Als er mich kommen sah, konnte er seine Wut kaum verbergen und sprudelte Worte, die seiner und meiner unwürdig waren, mehr hervor als daß er sie aussprach: ‚Ha, Du Verbrecher, warum hast Du Dich geweigert, mir die Kirche zu öffnen ?‘ Auf meine sachlichen Erwiderungen polterte er schimpfend: ‚Du Schelm, Du Verräter, Du alter Schelm, Du greiser Schelm !‘ Durch diese Beleidigungen antwortete ich erheblich erregter, mit solchen Menschen hätte ich nichts gemein. Dann hob er einen Stock, den er in der Hand hatte, in die Höhe und drohte mir, damit auf den Kopf zu schlagen. Als er bemerkte, daß ich daraufhin nur noch mutiger wurde, stieß er mit der Stockspitze heftig gegen meine Brust. Die vielen anwesenden Offiziere sowie der Prädikant begleiteten diese Mißhandlung mit wüsten Beschimpfungen. Ihre Wut und ihr wenig militärisches Benehmen waren mir Grund genug, mich zurückzuziehen und nach Hause zu gehen. Im Herzen empfand ich Freude und Stolz über die mir durch den Stoß mit dem Stock verursachte Verletzung und den stechenden Schmerz in meiner Brust. War ich doch mit den Aposteln für würdig gefunden worden, für den Namen Jesu Schmach zu erleiden. Am folgenden Tag verlangte der Kommandant auch die Schlüssel der Pfarr- und Paterskirche. Mit welchem Erfolg, werden wir noch erfahren“.[10]
Bei Wilmius heißt es weiter: „In diesem Monat [November] mußten wir wieder die schmählichsten Demütigungen in Kempen über uns ergehen lassen, wo wir noch immer die Besatzung des französischen Königs hinnehmen müssen. Die Schöffen und Bürgermeister wurden mit freundlichen Worten zur Burg gelockt, dann aber als Gefangene festgehalten. Die Besatzung forderte von ihnen die ungeheure Summe von 9.000 Reichstalern. Sie bekommt von anderer Seite kein Geld, deswegen fordert sie den Sold von den Bürgern. Seit einigen Monaten erhält sie ihn auch schon. Aber es ist unmöglich, diese Belastung weiterhin durchzustehen. Die Bürger müssen wöchentlich 3, zum Teil sogar 4 und 5 Reichstaler geben. So sehen sich die meisten nach und nach gezwungen, aus ihrem Haus und der Stadt zu gehen. […] Im Dezember lebten die Bürger zum größten Teil recht und schlecht in der Verbannung, weil sie wegen der täglich vom Kommandanten erhobenen Forderung zur Besoldung seiner Soldaten geflüchtet waren. Die in der Stadt verbliebenen Bürger verließen deshalb nicht ihre Häuser, weil sie ihre totale Zerstörung verhindern wollte. […). Am Tage des hl. Stephanus waren die Bürger am Ende ihrer Kraft. Die aufgezwungenen Zahlungen an die Soldaten konnten sie nicht mehr entrichten. Die Stadtflucht nahm immer mehr zu. Die Ausgaben waren mittlerweile auf 12.000 Reichstaler gestiegen. Daher schickten die Zurückgebliebenen auf einstimmigen Beschluß den Bürgermeister Jacob Foitz und den Gerhard Hontzeler nach s’Gravenhage zum Gesandten des französischen Königs. Sie sollten um Befreiung von den unerträglichen Lasten bitten und den Wunsch vortragen, daß mit mehr Besonnenheit und Ruhe regiert würde. Zum größten Unglück trafen sie aber den französischen Gesandten im Haag nicht an. Sie kamen sie ohne Erfolg zurück und machten ihre betrübten Mitbürger, die schon im stillen auf Besserung ihres Loses gehofft hatten, noch verzagter. Sie erlagen der schweren Belastung und verließen in großer Zahl ihre Häuser, um noch zur Winterszeit in die Verbannung zu gehen, da sie bis ins Mark ausgesogen waren. Den Rest an Hausrat durften sie dabei nicht mitnehmen“.[11]
„Zur gleichen Zeit [Januar/Februar 1643] war es zwischen Ziel, dem Kommandanten von Kempen, und Eberstein zu erheblichen Spannungen gekommen. Mitte November hatte Eberstein den Kommandanten aufgefordert, die Bevölkerung nicht länger durch Kontributionsforderungen zu belästigen. Ende dieses Monats beschwerte sich umgekehrt Ziel über Eberstein, der versuche, hessische Soldaten nach Kempen zu legen. Der Streit steigerte sich durch die allzu hochgespannten Forderungen Ziels, der mit seinen 500 Soldaten in Kempen die Versorgung der am Niederrhein stehenden hessischen Truppen ernsthaft gefährdete. Übereifer bei Eberstein und anmaßende Halsstarrigkeit bei Ziel führten zu einer sich immer mehr verhärtenden Front, die Amalie Elisabeth ebenso unlieb sein mußte wie Krosigk. Denn diese Auseinandersetzungen konnten nur zu leicht die jetzigen und die noch zu erwartenden diplomatischen Verhandlungen ungünstig beeinflussen. Amalie Elisabeth gebot Maß zu halten und mahnte Eberstein, es bleibe nichts anderes übrig als nicht zu viel Lärm zu schlagen, da der Kommandant in Kempen ein königlicher ‚Minister‘ sei und Krosigks Verhandlungen nicht gestört werden dürften. Es bleibe kein anderes Mittel, als die Befehle vom Hof zu erwarten und sich bis dahin so gut es gehe mit Ziel zu vergleichen. Von französischer Seite wurde andererseits die Dringlichkeit der Kempener Frage und das Ausmaß der Spannungen zwischen Eberstein und Ziel nicht in so grellen Farben gesehen: weder der Prophet Nathan noch Krosigk selbst könnten Ludwig XIII. jemals davon überzeugen, daß jene 500 Soldaten aus Kempen im Stande seien, die Hessen bis an den Rand des Ruins zu führen, so mußte sich Krosigk von dem französischen Gesandten in Den Haag sagen lassen.
Das strenge Regiment Ziels hatte Kempen und den ganzen Niederrhein in Angst und Schrecken versetzt, Güter waren verpfändet und Einwohner aus den Ämtern Liedberg[12] und Brüggen[13] in Kempen gefangen gesetzt worden. Eberstein fühlte sich ‚befugt, schuldig und entschlossen, dieses dem Haus Hessen hoch angelegene Wesen in gehörender Richtigkeit zu wahren und nach unserm Vermögen darüber zu halten‘. Auf Grund dieses Anspruches – er wurde aus der französischen Erklärung abgeleitet, der Niederrhein gehöre Amalie Elisabeth und Kempen solle an Hessen abgetreten werden – war Eberstein auf Bitte Brassets bereit, für kurze Zeit, nämlich bis zur Übergabe der Stadt an Hessen, die Unterhaltung der Truppen aus dem Lande zu gestatten. Wie selbstherrlich Ziel zu leben gedachte, zeigt sein Brief an Herzog Wolfgang Wilhelm, in dem er sich auf die soeben festgelegten jülichschen Kontributionszahlungen an die hessischen Truppen von monatlich 10 000 Reichstaler bezog und erklärte, bei diesen Verhandlungen sei die französische Krone übersehen worden. Nun solle Wolfgang Wilhelm von den jülichschen Landständen dieselbe Summe für die Garnison in Kempen fordern oder aber gewiß sein, daß gegen sie ‚mit der Schärfe kraft habender Ordre … verfahren‘ werden müsse. Der Herzog bat sogleich Eberstein um Vermittlung. Aber Ziel ließ sich nicht einschüchtern. Er erklärte dem hessischen General, den von Eberstein erwähnten Befehl des französischen Königs nicht zu kennen. Selbstbewußt unterließ er nicht den Hinweis darauf, daß die Hessen durch der Franzosen starken Arm so weit in diese Lande vorgedrungen seien. Er halte sich an die Guébriantschen Befehle gebunden, nach deren Wortlaut er mit der Kontribution so lange fortfahren solle, bis ein Vergleich mit Kempen zustandegekommen sei. Für den Fall, daß Kempen abgetreten werde, riet er Eberstein, Geld zu beschaffen, ‚damit diese verwüstete Stadt nicht fortan, wie geschehen, verdorben werden möchte. Den Bürgern, so bisher noch standgehalten, ist unmöglich, die schwere Last länger zu tragen, verlaufen täglich mit Haufen. Und werden ihre verlassenen Häuser, zu meinem Leidwesen, jämmerlich niedergerissen. Und wird ohne Zweifel der meiste Teil der Stadt, dafern man nicht auf Mittel bedacht, daß unsere Soldaten mochten Geld bekommen, darauf folgen‘. Eberstein werde leicht einsehen, ‚daß wir also vom Wind nicht leben können, müssen uns also mit allen möglichen Mitteln bis zu unser bestimmten Zeit, die nun bald ein Ende haben wird, behelfen. Möcht wohl wünschen, daß dieselbe schon gekommen, und das lieber heut als morgen‘ „.
– – Der Chronist Wilmius berichtet weiter: „In diesen Tagen wagten die Besatzungssoldaten nicht mehr, vor die Tore der Stadt zu gehen, um Holz zu sammeln, aus Furcht vor den kaiserlichen und königlichen Truppen, die draußen bereits ihre Vorposten hatten. Daher begannen sie, die noch übriggebliebenen Häuser zu Heizzwecken abzubrechen. Die Häuser der St. Johannes- und St. Georgsvikarie auf dem Friedhof, die schon früher stark erschüttert waren, stürzten am Tage der hl. Agnes zusammen. Dabei war das Haus der St. Johannesvikarie so stark und prächtig erbaut, daß es gut Jahrhunderte hätte überdauern können.
Im Februar des Jahres 1643 wandten sich die Viertelsvorsteher von Kempen an den Kommandanten, um von den täglichen Zahlungen an die Soldaten befreit zu werden, weil eine weitere Zahlungspflicht über die Kraft der Bürger ginge. Der Kommandant machte ihnen einige Hoffnung, aber er wandte und drehte sich in seiner Entscheidung wie ein Proteus. Die Zahlungen sind also noch nicht aufgehoben.
Am 10. Februar, dem Tage der Jungfrau Scholastica, mahnte die erlauchte Landgräfin von Hessen die Kempener noch durch Briefe zur Zahlung von Kontributionen. Sie erging sich in den schlimmsten Drohungen, wenn wir die Gelder nicht schleunigst abschickten gemäß der schuldigen Unterwürfigkeit. Dabei hatte die ausgesogene Stadt bereits 26.000 Reichstaler durch den täglichen Sold an Besatzungssoldaten aufgebracht und auch die Bauern viele Tausende durch die täglichen Beitreibungen hergegeben. Welches Elend in unserer Vaterstadt ! Es kann niemals genug beklagt werden“.[14] – –
„Nachdem diese Verhandlungen zur Milderung der Kontributionseintreibungen nicht zum Erfolg geführt hatten, wurde Obrist Kotz aus Neuß nach Den Haag geschickt, der dort den französischen Gesandten über Ziels Auftreten und seine Folgen unterrichten sollte. Eberstein schrieb an Brasset, er könne ein Auseinanderlaufen der niederrheinischen Truppen nicht mehr verhindern, wenn Kempen in französischer Hand bliebe. Amalie Elisabeth schaltete ihren Gesandten in Den Haag, Wicquefort, ein, der Brasset über die allgemeine Lage am Niederrhein informieren sollte.
So trieben die Auseinandersetzungen um Kempen immer neue unheilvolle Blüten, als Krosigk endlich am 21. Februar 1643 mit einem Kriegsschiff in See stach und über Dieppe am 28. Februar in Paris eintraf. Polhelm hatte inzwischen auf Grund der Briefe Krosigks aus Den Haag mit Mazarin und Chavigny wegen der Subsidien und wegen Kempen gesprochen und schließlich erreicht, daß Chavigny sich für den Befehl zur Übergabe Kempens bei Ludwig XIII. und für die sofortige Weiterleitung dieses Befehls einsetzen wollte. Der hessische Gesandte hatte den Eindruck, daß die in Paris bekannt gewordene baldige Ankunft eines Sonderbotschafters die Entscheidung über Kempen beschleunigen könnte. Polhelm war sogar bereit, einen Sonderkurier auf Kosten seiner Landgräfin an Beauregard zu senden. Auf diese Wege kam dann auch die königliche Anordnung nach Kassel.[15]
Wenige Tage nach diesen Verhandlungen befahl der französische König am 27. Februar 1643 – also einen Tag vor der An-kunft Krosigks ! – dem Kommandanten von Kempen, die Stadt an Amalie Elisabeth abzutreten: ‚Il est ordonné au Sieur Leutenant Colonel, commandant de la part de sa Majesté dans Kempen, de mettre cette place entre les mains de Madame la Land-grave ou de celuy qui aura chargé d’Elle de la recevoir de luy et d’y faire entrer garnison de sa part … Donné à St. Germain en Laye le XXVII Février 1643‘. Am folgenden Tage bereits sandte der König diesen Befehl mit einer entsprechenden Anweisung für Amalie Elisabeth an Beauregard. Aber die Übergabe Kempens war an folgende Bedingung geknüpft: Amalie Elisabeth hatte zuvor zu erklären, die an Guébriant abgegebenen Reiter und Fußtruppen so lange dem französischen Marschall zu überlassen, wie je-ner sie benötigte. Auch sollten die Soldaten Ziels von Amalie Elisabeth unterhalten werden, falls sie nicht sogleich in die Generalstaaten zurückkehren könnten. Damit waren der Landgräfin abermals Verpflichtungen auferlegt, deren Erfüllung sie vor schwere Entscheidungen stellen mußte.
Der Auftrag Krosigks war durch den Kempener Befehl des Königs nicht beendet. Am 1. März hatte er die erste Unterredung mit Mazarin, Chavigny und Noyers, dabei aber lediglich die Erhöhung der Subsidien und die Rückgabe der Guébriant überlassenen Truppen besprochen. Mazarins Haltung gegenüber Hessen schien Krosigk anfänglich wohlwollend zu sein, der Kardinal hatte weitere Gelder in Aussicht gestellt. Trotzdem bereitete sich Krosigk auf noch manche Verhandlung vor. Ungünstig aber klangen die folgenden Briefe des Gesandten nach Kassel. Deprimiert gestand er, noch nichts erreicht zu haben. Man hatte Krosigk nicht einmal orientiert, ob Amalie Elisabeth vor der Übernahme Kempens oder zu einem Zeitpunkt eine Erklärung über die Guébriant abgetretenen Truppen abgeben müsse. Krosigk hatte den Eindruck, daß vielleicht der Einfluß Guébriants auf die Verhandlungen stärker sei als man glaube, vor allem im Blick auf die ihm unterstellten Truppen. Wenige Tage später schöpfte Krosigk nach neuen Verhandlungen in St. Germain wieder mehr Hoffnung für die hessische Sache, denn es war vereinbart worden, die hessischen Truppen sollten nach Eintreffen neuer Verstärkungen entlassen werden. Beunruhigt aber war Krosigk über Mazarins Mitteilung, daß eine kurkölnische Gesandtschaft bei dem Kardinal gewesen sei und Kontributionszahlungen an die Garnison in Kempen angeboten habe, falls Frankreich Kurköln gegen Hessen unterstützen werde. Krosigk war erregt: ‚Man siehet, wie diese Leut nur suchen, uns untereinander zu verwirren. Weswegen meines geringfügigen Ermessens man sich in allem anderen, so von ihnen herkommt, demnach das Odium gegen Hessen allzu tief eingewurzelt, wohl vorzusehen, damit sie endlich nicht durch süße und nützlich scheinende Vorschläge dasjenige gewinnen, so sie durch ihre Macht nicht zu Werke richten können‘. Der folgende nur drei Tage jüngere Brief brachte wieder ‚böse Zeitung‘: Guébriant habe allen Verhandlungen eine ungünstige Wendung gegeben und den hessischen Gesandten ‚das Werk heimlich aus den Händen gespielt‘. Nun wolle man doch die Stadt Kempen gegen hessische Truppen eintauschen, Krosigk befürchtete, daß man in Paris abwarte, bis Beauregard eine Bedingung nach der anderen der hessischen Landgräfin aufgezwungen habe. ‚Allein, weilen man bis dato unseres Teils alles eingegangen, suchet man uns bei dieser verderblichen Gewohnheit zu erhalten‘ und schiebt alles auf die ‚lange Bank‘.
– – In Kempen war mittlerweile, aber nur vorübergehend eine geringe Milderung eingetreten, wie Wilmius in seiner Chronik festhielt: „Am 1. März 1643 ließ der Stadtkommandant Peter Ziel nach langem Drängen und Bitten der Viertelsvorsteher durch einen Trommler bekanntmachen, daß künftig keine Tagegelder mehr an die Soldaten entrichtet zu werden brauchten, sondern nur noch ein paar Pfund Brot. Er hätte nichts Lieberes und Erfreulicheres verkünden können, wenn diese paar Pfund Brot nicht genannt worden wären, die die Bürger bei der großen Teuerung sehr belasteten“.[16]- –
Während dieser Verhandlungen am königlichen Hof bereitete Guébriant auf Grund des Befehls Ludwig XIII. endgültig die Übergabe Kempens an die hessischen Truppen vor und teilte Beauregard am 18. März 1643 mit, er sei zur Übergabe bereit, falls Amalie Elisabeth ihre Soldaten in seinen Diensten beließe. Dieser Bedingung, die derjenigen des Königs entsprach, fügte Guébriant jedoch eine weitere hinzu: er verlangte von Amalie Elisabeth, daß sie die Quartiere in Kurköln und im Herzogtum Jülich jederzeit wieder den französischen Truppen zur Verfügung stelle. Auf dieser Basis verhandelte Beauregard wenige Tage später mit den hessischen Offizieren und Räten Eberstein, Günterode, Geyso, Hoff, Sixtinus, Vultejus und Pagenstecher. In dem Entwurf, der von hessischer Seite vorgelegt wurde, versprach die Landgräfin, ihre Reiter- und Fußtruppen so lange im Dienst der französischen Armee auf deutschem Boden zu lassen, wie die gegenwärtige Notlage und das allgemeine Kriegswohl es erforderlich mache. Bei eigener Gefahr erwartete Amalie Elisabeth von Guébriant die sofortige Rückgabe ihrer Truppen. Die Fassung wurde von Beauregard, der sich genau an die von Guébriant erteilten Richtlinien hielt, strikt abgelehnt. Zweifellos ist lange um die Formulierung des Vertragstextes zwischen den hessischen Bevollmächtigten und Beauregard gerungen worden. Aber vergeblich ! Der französische Marschall bzw. sein Mittelsmann in Kassel setzten sich wieder einmal durch. Die Landgräfin mußte sich schließlich auch zur eventuellen Aufnahme französischer Truppen am Niederrhein bereit erklären. Sie hat diesen Vertrag unter Druck und gegen ihre politische Überzeugung abgeschlossen. Angesichts der Gefahr für ihre bei Guébriant stehenden Truppen, auf denen teilweise die Sicherheit ihres Landes beruhe, und wegen der Möglichkeit neuer Angriffe hatte Amalie Elisabeth schließlich nachgegeben und den Revers unterschrieben. Ihre Hoffnung, Ludwig XIII. werde ihr zur Erleichterung der hessischen Lage jene Bedingungen erlassen, war gewiß nur eine schwache Beruhigung. Sie bat Krosigk dringend, in diesem Sinne seine weiteren Verhandlungen zu führen. Nun kam alles darauf an, möglichst schnell die französische Besatzung von Kempen durch eigene Truppen abzulösen. Am Tage nach der Unterzeichnung des Kempener Vertrages bat Amalie Elisabeth Herzog Wolfgang Wilhelm, seinen Rat Cyriacus, der gerade zu Kontributionsverhandlungen in Kassel war, nach dessen Rückkehr an den Rhein mit dem Duplikat des Vertrages nach Kempen zu dem dortigen Kommandanten zu schicken. Um den Abzug Ziels nicht zu verzögern, sollte Wolfgang Wilhelm über Erzbischof Ferdinand von Köln Passierscheine von kaiserlichen und spanischen Truppen erbitten.
Wer auf hessischer Seite geglaubt hatte, daß mit der Unterzeichnung des Kempener Vertrages dieser lange Streit ein Ende gefunden habe, sah sich bitter enttäuscht. Zwar übergab Cyriacus sogleich in Kempen die entsprechenden Verträge. Aber Ziel machte erhebliche Vorbehalte gegenüber diesen französisch-hessischen Abmachungen. Wohin er denn, so fragte er den jülich-bergischen Rat, mit seinen Soldaten marschieren solle; wer käme für die Verpflegung seiner Truppe auf ? Das sei, so entzog sich Cyriacus einer Stellungnahme, nicht seine Sache.
Denselben Standpunkt vertrat Ziel auch gegenüber Amalie Elisabeth und erklärte obendrein, sein Vertrag mit der französischen Krone laufe erst am 20. Mai 1643 ab, bis zu diesem Termin sei er aus staatischen Diensten entlassen. So störte sich Ziel an nichts, er trieb weiterhin Kontributionen ein und setzte die jülichsche und kurkölnische Bevölkerung unter Druck. In Kassel wartete Amalie Elisabeth vergeblich auf eine Meldung über die Räumung Kempens. Sie beteuerte gegenüber Wolfgang Wilhelm ihren Eifer, mit dem sie den Abzug der französischen Truppen aus Kempen betreibe und erhoffte sich nach Übernahme der Stadt durch die Hessen auch Erleichterung für die jülichsche Bevölkerung.
In Kassel war man auf diese Schwierigkeiten Ziels bereits vorbereitet. Denn Amalie Elisabeth hatte am 27. März, also einen Tag nach der Unterzeichnung des Kempener Vertrages, Wicquefort gebeten, er möge den Prinzen von Oranien oder Brasset bitten, schnellstens einen Befehl an Ziel zum Rückmarsch in staatische Dienste zu senden. Oranien sagte seine Unterstützung zu und teilte mit, er werde Ziel befehlen, mit seinen Truppen nach Rheinberg[17] oder Wesel[18] zu marschieren.
– – Die vorübergehende Erleichterung für die Kempener Bürger hatte nach Wilmius wieder aufgehört: „Im gleichen Monat [April] waren die Bürger (niemals in Frieden, niemals in Ruhe) wiederum zur Zahlung des Soldes gezwungen und deshalb sehr niedergeschlagen. Ihre Ernährungslage war so kritisch, daß sie für ihre Familien kaum das tägliche Brot beschaffen konnten. In diesen Tagen verließ unser Schulheiß Leonius heimlich sein Haus und die Stadt, weil der Kommandant Peter Ziel außer den täglichen Leistungen wie Tischdecken, Servietten, Handtücher und anderem dazu noch die namhafte Summe von 300 Talern, die nachher auf 200 Taler herabgesetzt wurde, forderte. Durch heimliche Flucht entzog er sich seinem Zugriff und ging nach Wachtendonck,[19] da ihm nach seiner Ansicht im Weigerungsfalle nur noch Verhaftung und Kerker blühten. Sobald der Kommandant Kunde von seiner Flucht bekam, schickte er eine Kompanie Soldaten in sein Haus, die unverschämt Wien und Bier forderten, Tag und Nacht tranken, Bombarden im Haus abschossen und jede Art von Nichtsnutzigkeit verübten. Der Frau des Schultheißen fielen sie so lästig, daß diese ihnen notgedrungen einen bestimmten Geldbetrag versprach. Die Soldaten ließ Ziel nicht eher aus dem Hause abrufen, bis das Geld ausbezahlt sei. Da sie es in Kempen nicht auftreiben konnte, ließ sie es von Venlo[20] herbeischaffen“.[21]
So war die Lage für Amalie Elisabeth Mitte April durchaus noch nicht zufriedenstellend, als unerwartet neue Gefahren auftauchten. Den am Niederrhein liegenden kaiserlichen Truppen war es unter dem Kommando des in Westfalen stationierten Grafen von Vehlen überraschend gelungen, das Haus Oedt[22] in der Nähe Kempens zu besetzen. Dort waren nur 25 hessische Soldaten aus Linn[23] einquartiert. Auch ein Paß nach Kempen, der sog. St. Niklaß Bann, war besetzt worden, so daß man befürchten mußte, der Streit zwischen Franzosen und Hessen um Kempen könne durch militärische Ereignisse eine unerwartete Lösung finden. Mit Sorge erinnerte man sich auf hessischer Seite des unrühmlichen Verhaltens des staatischen Kommandanten von Düren.[24] Auch Uerdingen schien in Gefahr. Am 24. April traf Eberstein, der eilig aus Coesfeld kam, in Uerdingen ein und beauftragte sogleich Generalwachtmeister v. Rabenhaupt mit der Rückeroberung des Hauses Oedt. Drei Tage später war Oedt wieder in hessischer Hand. Die Sieger fanden dort große Mengen Munition, dazu zwei schwere Geschütze des Erzbischofs von Köln, einen Feuermörser des Grafen von Vehlen und eine spanische mit Leinentuch bespannte leichte Brücke, deren einzelne Glieder aus Körben bestanden. Wegen der Möglichkeit einer abermaligen Besetzung Oedts durch die Kaiserlichen, deren Reiterei bei Gladbach[25] lag, war Eberstein entschlossen, Tore und Brücken von Oedt abzubrennen und die Gebäude zu sprengen. Die Hessen jubelten über diesen Erfolg und sangen:
‚Kurkölnische Stücke,
Hispanische Brücke,
Graf Vehlens Mortier,
Die seind der Hessen Zier‘.
– – Der Chronist Wilmius berichtet: „In dieser Zeit wurden wir hin- und hergeworfen zwischen Hoffnung auf Befreiung und der Furcht vor Belagerung. Nach der Einnahme von Oedt wurde mir und anderen diese berechtigte Hoffnung durch Brief bestätigt. Aber die Erfüllung ließ Tag für Tag auf sich warten. Diese Geduldsprobe machte uns schließlich mutlos, zumal die Bürger wieder das Geld für die Besoldung der Soldaten beschaffen mußten und selbst Hunger litten. So machten sie sich Luft in wüsten Beschimpfungen auf die Kaiserlichen, die in ihrer Saumseligkeit alles auf die lange Bank schoben. Besonders am Tage des hl. Markus waren sie über die Gleichgültigkeit der Kaiserlichen erbost, als die Hessen in einer Stärke von 2.000 Mann mit erstaunlicher Geschwindigkeit heranrückten, Oedt in der Morgenfrühe völlig unerwartet einschlossen und bestürmten. […] Am folgenden Tag, einem Sonntag, wurde ihnen die Burg übergeben. Die Hessen hatten sie eine Zeitlang mit mehreren Kanonen beschossen und dann zur großen Schande für die Unsrigen zwei eherne Kanonen und einen Mörser erbeutet, ganz zu schweigen von dem weiteren Kriegsmaterial wie Schießpulver, Getreide und anderem. Nach Plünderung der Burg gruben sie Minen, legten Pulver hinein und sprengten sie. In ihrem Siegestrubel über diesen kleinen Erfolg verhöhnten die Besatzungssoldaten unsere Bürger und brachten sie in große Aufregung. ‚Wo sind jetzt Eure Kaiserlichen, wo ist Euer Amtmann, der Verräter ?‘.
Am gleichen Tag, den 27. April, wollten sie in jedem Haus die Vorratskammer besichtigen und feststellen, wieviel Roggen ein jeder in seinem Hause hatte. Zu ihrer Überraschung fanden sie nur kleinere Mengen, vielfach sogar nur leere Kammern, so daß sie sich fragten, wovon die Menschen überhaupt noch lebten, die laut jammernd und weinend nicht mehr aus noch ein wußten.
Am 29. und 30. April blieben die Tore geschlossen, weil unsere Besatzungstruppen aus ängstlicher Sorge über die Stadtflucht niemand mehr in die Stadt hinein- und aus der Stadt herausliessen. Da schickte meine Einquartierung, Peter Kehrweer, seinen Leutnant, der sich trotz seines vorgerückten Alters unter dem Einfluß des calvinistischen Giftes toll und wild gebärdete, mit acht oder neun Musketenträgern zu mir. Kehrweer hatte dabei nur den einen Gedanken, seinen Geldbeutel zu füllen und auf jede erdenkliche Art Geld aus mir herauszupressen, zumal er mit meinen täglichen Leistungen nicht zufrieden war. Die Hellebarde in der Hand betrat der Leutnant mit seinen Gefolgsmännern mein Haus. Er bemerkte, daß ich mich in meinem Stübchen im Obergeschoß aufhielt und kam ohne Gruß nach oben. Sogleich rief er mich wild an und befahl mir, mit ihm zu kommen. Auf meine Frage nach dem Wohin, entgegnete er mir: ‚Ins Gefängnis, in den Turm !‘ Darauf ich: ‚Ohne Anklage ?‘, worauf er mir erwiderte, mir die Anklage ein andermal sagen zu wollen. Ich ging also mit ihm nach unten und sah die übrigen Soldaten auf mich warten. Aus dem Saal eines anderen Hauses nahm ich mir eine Mütze und sagte ihm, ich sei bereit. Der Leutnant stutzte und änderte sofort seine Absicht. Der Magd befahl er, Feuer zu machen und eine Mahlzeit mit gekochtem Fleisch herzurichten. Unter Drohungen und Schlägen gebot er, reichlich Wein und Bier vorzusetzen. Andere Offiziere lud er noch dazu ein, die er nach seinen Worten traktieren müsse. Meine Magd deckte den Tisch, trug auf, was sie hatte, und nötigte jeden, sich beizusetzen. Jede schnitt sich eine Portion von dem Salzfleisch ab und verzehrte es. Nichts blieb außer den Knochen übrig. Mit Butter und Käse verfuhren sie in gleicher Weise, so daß nachher schließlich alles aufgegessen war. Was noch an Bier übrigblieb, gaben sie Dazukommenden, die gierig ihren Durst stillten. Nach der Tafel mußte ich Tabak und Wein beschaffen und mich zu ihnen setzen. Mit ihrem exotischen Tabakrauchen, wovon sie mir auch anboten, hätten sie mich beinahe umgebracht. Auf solche Weise abgehetzt und bis Mitternacht zum besten gehalten, mußte ich ihnen auch noch Geld aussetzen und versprechen. Auf sein besonderes Geheiß sollte ich den Schultheiß zufriedenstellen, dem er 14 Reichstaler schuldete. Darüber hinaus mußte ich ihm noch sieben Rosenobel versprechen. Ich willfahrte seinem Wunsch, um endlich von dieser Plage freizukommen. Mitten in der Nacht endlich konnte ich als freier Mann aufatmen, nachdem die ungebetenen Gäste um diese Stunde mein Haus verlassen hatten. Am folgenden Tag ging ich mit wenig Hoffnung nach Wachtendonck zwecks Beschaffung des Geldes. Noch während meines Aufenthaltes dort erhielten die Holländer am nächsten Tag, dem 1. Mai, den Befehl, ihre Sachen zu packen und die Stadt Kempen wieder den Hessen zu übergeben. Während der Vorbereitungen zum Abmarsch versuchte mein Quartiergast Kehrweer unter Flüchen und Schimpfen, das Geld von meinen Hausleuten zu erzwingen, da ich ja zu meinem Glück abwesend war. Voll Unruhe und Angst setzten meine Leute ihm meine finanzielle Not auseinander und schlugen ihm schließlich einen Bürgen vor. Nach anfänglicher Weigerung erklärte er sich mit Heinrich Winges als Bürgen einverstanden unter der Bedingung, daß er ihm binnen 14 Tagen in Rheinberg oder Wesel die Zahlung leiste“.[26] – –
Die Gefahr für Kempen und damit auch für die übrigen hessischen Garnisonen war gebannt. Das kurze militärische Intermezzo war zwar beendet. Aber die Hessen mußten wachsam bleiben. Denn die kaiserliche Reiterei lag bei Gladbach, Truppen aus dem Kölnischen und Westfälischen wurden in der Nähe zusammengezogen.
Nun endlich war auch der Tag der Übergabe von Kempen nicht mehr fern. Denn inzwischen hatten sich die Generalstaaten auf Wicqueforts Betreiben mit der Rückführung der Zielschen Soldaten befaßt. Ihre Meinung war unterschiedlich: einige lehnten die Übernahme der Kempener Truppen in staatische Dienste wegen der damit verbundenen finanziellen Belastung des eigenen Etats ab; andere schlugen die Übernahme der Garnison in hessische Dienste vor; eine dritte Gruppe nannte den 20. Mai als Übergabetermin, da erst an diesem Tage das 1642 geschlossene Bündnis zwischen den Generalstaaten und Frankreich ablaufe. Am 28. April gaben dann die Generalstaaten ihre Zustimmung zum Abzug Ziels aus Kempen. Alle Voraussetzungen zur Übernahme Kempens durch hessische Truppen waren nunmehr gegeben.
Wenige Tage später, in der Nacht vom 1. zum 2. Mai 1643, rückten acht Kompanien zu Fuß und eine Kompanie zu Pferd, unter Obristleutnant Spreewitz aus Kalkar,[27] verstärkt durch eine Kompanie Dragoner, in Kempen ein. Unter dem Schutz hessischer Soldaten verließ Ziel am 2. Mai die Stadt in Richtung Rheinberg. Der scheidende Kommandant hatte beim Abmarsch, gestützt auf einige Schreiben Amalie Elisabeths, von Eberstein Belohnungen erbeten, die der General aber mit dem Hinweis auf seinen ‚reichen Herrn‘ ablehnte, auch sei die Stadt derart verwüstet, alle Früchte des Magazins verkauft und nicht ein Braukessel zurückgeblieben – aus diesen Gründen habe Eberstein keine Veranlassung, Ziels ‚erzeigte Widerspenstigkeit dergleichen‘ zu belohnen. In welch ruiniertem Zustand Ziel Kempen verlassen hatte, geht aus einem Bittschreiben von Bürgermeister und Rat in Kempen an Amalie Elisabeth aus dem Jahre 1644 hervor, in dem über die ‚holländischen Franzosen‘ geklagt wird, die ‚unter Hintansetzung alles christlichen Mitleidens‘ den Untertanen das Letzte genommen, ferner mehr als 300 Wohnplätze und Häuser niedergerissen, geschleift und verbrannt hätten; acht Monate habe man täglich Geld- und Lebensmittellieferungen leisten müssen; es sei kein Wunder, daß jetzt nur etwa 200 Bürger mit ihren Familien in Kempen wohnten“.[28]
[1] Kempen [LK Kempen-Krefeld]; HHSD III, S. 384ff.
[2] ENGELBERT, Hessenkrieg II, S. 59f.
[3] STROTHMANN, Westfalen, S. 136.
[4] Köln; HHSD III, S. 403ff.
[5] Die Erft ist ein knapp 107 km langer linksseitiger bzw. südwestlicher Nebenfluss des Rheins in Nordrhein-Westfalen.
[6] WILMIUS, Chronicon, S. 131.
[7] Uerdingen [Stadtkr. Krefeld]; HHSD III, S. 725.
[8] WILMIUS, Chronicon, S. 132.
[9] Krefeld; HHSD III, S. 429f.
[10] WILMIUS, Chronicon, S. 134f.
[11] WILMIUS, Chronicon, S. 136ff.
[12] Liedberg [LK Grevenbroich]; HHSD III, S. 462f.
[13] Brüggen [LK Kempen-Krefeld]; HHSD III, S. 123f.
[14] WILMIUS, Chronicon, S. 138.
[15] Kassel; HHSD IV, S. 252ff.
[16] WILMIUS, Chronicon, S. 138.
[17] Rheinberg [LK Moers]; HHSD III, S. 636f.
[18] Wesel [LK Rees]; HHSD III, S. 773ff.
[19] Wachtendonk [LK Geldern] HHSD III, S. 745.
[20] Venlo [Provinz Gelderland; Niederlande].
[21] WILMIUS, Chronicon, S. 138f.
[22] Oedt [LK Kempen-Krefeld]; HHSD III, S. 585f.
[23] Linn [Stadtkr. Krefeld]; HHSD III, S. 468f.
[24] Düren [LK Düren]; HHSD III, S. 182ff.
[25] Gladbach [LK Düren]; HHSD III, S. 257f.
[26] WILMIUS, Chronicon, S. 139f.
[27] Kalkar [LK Kleve]; HHSD III, S. 374f.
[28] ENGELBERT, Hessenkrieg II, S. 66ff.