Kratzsch [Kratsch, Cratsch, Cratz, Gratz], Philipp Christoph von; Obristwachtmeister, Obrist [ – ] Philipp Christoph vpn Kratzsch, der Bruder des ebenfalls übel beleumdeten Hanns Heinrich, stand 1629 noch als Obristwachtwachtmeister im Regiment Jean II. de Waroux, 1631 als Obristwachtmeister in kursächsischen Diensten.[1]
„Gustav Adolf hatte indes die Elbe bei Werben[2] erreicht, Tilly[3] in Hessen sich mit [Egon VIII. v.; BW] Fürstenberg vereinigt. In Sachsen warb man fieberhaft Truppen und verschaffte sich als Feldmarschall den früheren kaiserlichen General Johann Georg von Arnim-Boitzenburg, der Geldgeschäfte halber mit dem Kaiser zerfallen war. Trotzdem wäre man in Kursachsen wohl noch lange nicht zum Äußersten geschritten, hätte nicht Tilly – höheren Weisungen folgend – den Kurfürsten in einer merkwürdig scharfen Weise herausgefordert. Am 14. August sandte er nämlich den Reichshofratspräsidenten Johann Reinhard von Metternich und den bayerischen Feldzeugmeister Otto Friedrich von Schönberg nach Merseburg,[4] um den Kurfürsten zu bestimmen, von dem Leipziger Bunde nun auch dem Wortlaute nach abzustehen, – in Wahrheit war er ja gar nicht mehr vorhanden – , und sich dem Kaiser anzuschließen, solange ‚die Gnadentüre noch offen’ sei. Dieser anstößige Ausdruck verstimmte den Kurfürsten gar. Er sprach hier von dem ‚sächsischen Konfekte’,[5] das man sich bis zuletzt aufgespart habe, aber doch endlich verzehren wolle. Dieser Ausdruck muß jedoch schon früher geprägt worden sein, und zwar eben von Johann Georg I., den Christoph Kratzschens lose Rederei bezieht sich schon 1630 auf dieses Wort“.[6]
Nach der Schlacht bei Breitenfeld[7] am 17.9.1631, an der er auf kaiserlicher Seite teilgenommen hatte, hatte er sich nach Halle[8] zurückgezogen, das am 21.9. mit Akkord überging. Kratzsch geriet dabei zusammen mit Hauptmann Winckelmann, der ebenfalls früher in kursächsischen Diensten gestanden hatte, und Obristleutnant Budenfels [Podewils; BW] in Gefangenschaft.[9] Die zweimal im Jahr zu Messen in Frankfurt/M. erscheinende „Relationis Historicae Semestralis Continuatio“ berichtete ihren Leser*innen: „Hierauff haben Jhre May. Merseburg wider einbekommen / vnd nach solchem mit der gantzen Armada auff Hall gezogen / welche Statt den 11. vnd die Moritzburg den 12. sich mit Accord ergeben. Der Obriste Leutenandt Gratsch vnd Winckelman sind gefangen vnd Ihrer Churf. Durchl. gelieffert worden / was evangelisch vnder den Soldaten gewesen / sich bey den Schwedischen in Dienst eingelassen: Die Römisch-Catholische aber haben schweren müssen / nimmermehr wider Jhre May. vnd die Evangelische Reichsstände zudienen. Die Schwedische Armada hat sich durch Zulauff deß Keyserischen Volcks sehr gestärckt / also daß sie damals schon bey 5000. stärcker / als vor dem Treffen gewesen“.[9a] Das „Theatrum Europaeum“ hat diese Darstellung fast wortwörtlich übernommen.[9b]
„Das Offizierskorps bestand 1631 meist noch aus sächsischen Adligen. Der Generalfeldmarschall v. Arnim war zwar Brandenburger, die übrigen Stabschargen aber [waren; BW] ausnahmslos Sachsen, ebenso die Regimentskommandeure. Das niedere Offizierskorps war zusammengewürfelt wie jedes der damaligen Zeit, dennoch waren die meisten Offiziere Sachsen, leider aber auch unter diesen fanden sich einige bedenkliche Herren. Der Rittmeister Hanns Heinrich Kratzsch vom Leibregiment zu Roß ward als Landesverräter ‚zu Leipzigk[10] justificiret’,[11] und sein Bruder Philipp Christof Kratzsch hatte ein großes Sündenregister. Außer Landesverrat warf die Anklage ihm vor, er habe ‚bey der Stiftstadt Merseburg vor dem Neumarcktshor [Neumarcksthor; BW] of ofentlicher freyer Landstraßen den bey sich habenden Einsponnigen[12] Hansen Eydelen vom Pferde geschossen’ und den Ritter Wolff von Zschepplitz ‚zu vnterschiedenen mahlen provociret vnd vergewaltiget’.
Die Untersuchung wollte besonders wissen, ‚warumb er sich noch kurz vor der Schlacht [bei Breitenfeld; BW], vnd da bereits die plünderung in vnserm Lande angangen, beim feind finden laßen / Vnd nicht zu Hauß geblieben / oder zu Vns sich gewendet vnd was er noch gar zu letzt zu Halle[13] / aldo er betretten[14] worden / (nach der Schlacht bei Podelwitz) zu schaffen gehabt’.
Ferner hatte er schon am 14. Oktober in Leipzig auf der Petersstraße im ‚blauen Engel’ ‚zu Abende vber Tische / nachst anderer verübter Prellerey[15] vngescheut fürgeben / Er der Obriste Wacht-meister Kratzsch / wolle dieses Winters vber / das lang gesparte Confect In Churfürstenthumb Sachßen nunmehr / Ob Gots will / verzehren helfen … hergegen aber sollten Sie / die damals anwessende Schwedische / Officirer / Salva reverentia / ein Hundesfuth[16] davon bekomen’, was dann eine Forderung seines Regimentskameraden Martinus Musculus zur Folge hatte.
Trotz allem wurde er doch am 23. Oktober 1632 gegen Urfehdeschwur und Kaution entlassen, im März 1646 aber wieder verhaftet, weil er seine Haushälterin geschwängert hatte“.[17]
1636 war er an der Wiedereinnahme der Grafschaft Honstein-Lohra-Klettenberg beteiligt „Die Wiedereinnehmung geschahe den 30sten Apr. 1636 durch den Graf Johann Reichard [Reinhard; GM] von Metternich, des hohen Domstifts zu Mainz Probst und Vikar in Halberstadt,[18] der zu dieser Unternehmung den Obersten[19] Philipp Christoph von Gratsch von dem Chor des schwedischen Statthalters in Halberstadt, Ludwig von Anhalt, gebrauchte. Dieser Offizier besetzte die beiden Schlösser Lohra[20] und Klettenberg[21] mit Soldaten, vertrieb die Diener der Grafen, mit Zurücklassung ihres Vermögens; ja, er bemächtigte sich alles dessen, was die Grafen an Getraide und Vieh u. s. w. hatten dahin bringen lassen*). Hierauf nahm er die beiden Herrschaften völlig in Besitz, so wie auch die halbe Vogtei Benneckenstein,[22] die doch kein Halberstädtisches Lehn war. Die Grafen sahen sich also ihrer neuen Länder durch Gewalt beraubt, ehe sie es einmal wußten, daß man sie ihnen nehmen wollte. Dies Verfahren des Metternichs war gegen alle Billigkeit und gegen das Herkommen im Reiche. Die Grafen konnten ihnen keine Truppen entgegen stellen. Alles was sie konnten, und auch thaten, war, daß sie protestando ihre Rechte zu behaupten suchten“.[23]
[1] Vgl. SENNEWALD, Das Kursächsische Heer.
[2] Werben [Kr. Osterburg]; HHSD XI, S. 492f.
[3] Vgl. KAISER, Politik; JUNKELMANN, Der Du gelehrt hast; JUNKELMANN, Tilly.
[4] Merseburg [Kr. Merseburg]; HHSD XI, S. 322ff.
[5] Vgl. auch „Sächsisch Confect Sampt dem darauff gefolgten Fränckischen Früstück“, satirisches Flugblatt auf die Niederlage Tillys bei Breitenfeld. Vgl. die Ausgaben unter VD17.
[6] RUDERT, Kämpfe, S. 35.
[7] Breitenfeld [Kr. Leipzig]; HHSD VIII, S. 38f. Schlacht bei Breitenfeld (nahe Leipzig) am 17.9.1631, in der das Heer der katholischen Liga unter Tilly durch die Schweden unter Gustav II. Adolf und die mit diesen vereinigte sächsische Armee unter Kurfürst Johann Georg I. eine vernichtende Niederlage erlitt. HAPPES Zahlen (vgl. mdsz.thulb.uni-jena.de) liegen deutlich zu hoch: Auf kaiserlich-ligistischer Seite dürfte von 8.000 Toten, 6.000 Verwundeten, 3.000 Gefangenen und 3.000 auf der Flucht Umgekommenen auszugehen sein, auf der Gegenseite waren 3.000 Sachsen und 2.000 Schweden ums Leben gekommen. RUDERT, Kämpfe, S. 49ff.; WALZ, Der Tod, S. 51ff.
[8] Halle a. d. Saale [Kr. Halle]; HHSD XI, S. 177ff.
[9] RUDERT, Kämpfe, S. 79.
[9a] LATOMUS, Relationis Historicae Semestralis Continuatio (1632), S. 15.
[9b] THEATRUM EUROPAEUM 2. Bd., S. 436.
[10] Leipzig; HHSD VIII, S. 178ff.
[11] justifizieren: henken, hinrichten; für Recht erkennen; hier: mit dem Schwert gerichtet.
[12] Einspänner = Söldner, der sich auf eigene Rechnung anwerben ließ.
[13] Halle a. d. Saale [Kr. Halle]; HHSD XI, S. 177ff.
[14] angetroffen.
[15] Angeberei.
[16] Hundsfott: Schimpfwort für einen verachtenswerten, insbesondere feigen Menschen.
[17] RUDERT, Kämpfe, S. 22f.
[18] Halberstadt [LK Harz]; HHSD XI, S. 169ff.
[19] Obrist: Manchmal meint die Bezeichnung „General“, Obrist“ etc. in den Selbstzeugnissen, Chroniken etc. nicht den faktischen militärischen Rang, sondern wird als Synonym für „Befehlshaber“ verwandt.
[20] Großlohra [LK Nordhausen]; HHSD IX, S. 179f.
[21] Klettenberg, heute Ortsteil von Hohenstein [LK Nordhausen].
[22] Benneckenstein [Kr. Nordhausen]; HHSD IX, S. 43ff.
[23] Nach HOCHE, Vollständige Geschichte, Halle 1790, S. 204f., in der freundlicherweise zur Verfügung gestellten Fassung von Herrn Gerhard Möller (GM).
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