Temme, Marcus; Rittmeister [ – ] Temme stand 1640 als Rittmeister unter dem Befehl des braunschweigischen Obristleutnants Tilo Bortfeld und war zusammen mit diesem in Holzminden[1] einquartiert.
„Noch vor Banniers Ankunft haben übersetzende kaiserliche Soldaten es geschafft, die Schanzen an der Weser zu erobern. Sie ‚machten’ sogar die braunschweigischen Besatzungen unter dem Kommando des Generals Koch in Fürstenberg,[2] Meinbrexen,[3] Boffzen,[4] Lüchtringen[5] und auch Holzminden (!) ‚mehrenteils herunter’.
So öffnet sich zwischen Weser und Sollingrand ein schmaler ‚Schlauch’, der bis Holzminden und von dort aus auch noch bis Bevern[6] reicht. Oberhalb des Schlauches haben auch drei (?) braunschweigische Kavallerieregimenter unter Generalleutnant von Klitzing den Sollingrand erreicht. Einer der dort angekommenen Offiziere ist Obristleutnant Schwarze alias Lambrecht, der Vater des Claus Lambrecht, des derzeitigen Besitzes des Thesmarhauses, das den Brand übersteht.
Den gerade angelangten schnellen braunschweigischen Regimentern fehlt zum Angriff auf die Kaiserlichen jedoch noch die Infanterie. So nimmt das Verhängnis seinen Lauf. Am 21. oder 22. [September; BW] steht Obrist Zaradetzki (auch ‚General Zaroatz’ und ‚Generalwachtmeister Sarratetz’) zwar offiziell nach einer Quelle noch im gerade eroberten Höxter. Wie sich zeigen wird, kann das nicht ganz stimmen.
Angesichts des ‚Schlauches’ bietet sich die Inbesitznahme von Holzminden an, und sei es nur für kurze Zeit. Vielleicht schon am 19., sonst frühmorgens am 20. wird die Stadt ‚erstürmt’. Wenn im Olxheimb-Bericht vom ‚Heruntermachen’ der Verteidiger die Rede ist, so sollen wir das wohl als ‚Vertreiben’ lesen. Der genannte Bericht weiß nichts von ‚Belagerung’ oder dergleichen. Andererseits kommt später der bevernsche[7] Kommandant [Glaser; BW] wegen seiner Kapitulation vor ein Kriegsgericht, nicht aber der Obristleutnant Bortfeld in Holzminden. Er wird gefangengenommen.
Olzheimb spricht in seiner Darstellung der Abläufe nur von ‚Truppen’, von ‚Völkern’. Einwohner der Stadt Holzminden erwähnt er im Zusammenhang mit der Einnahme nicht. Ein Blutbad in den Straßen der Stadt, vergleichbar mit dem in Höxter im Jahre 1634, gab es in Holzminden allem Anschein nach nicht. Und sollten die Menschen in Holzminden nach den schon durchstandenen Kriegsjahren anders gedacht haben als die Nachbarn in Bevern oder die dort eingesetzten schießmüden Soldaten, von denen gleich noch zu sprechen sein wird ?
Der entscheidende Satz zu dem, was nach dem ‚Heruntermachen’ der braunschweigischen Truppen aus den Ortschaften von Fürstenberg bis Holzminden geschieht, lautet nach der Aktenabschritt durch Dürre so: ‚Als die (sie ?) dann 11 Fahnen zu Bevern gesammelt hatten, mußten jene Holzminden verlassen, haben damals die ganze Stadt in Brand gesteckt, daß nur etliche kleine Häuser, Kirche und Rathaus stehen geblieben’. Vermutlich Dürre selbst macht in der Abschrift eine erklärende Anmerkung: Zu ‚Fahnen’ vermerkt er ‚Fähnlein’, zu ‚jene’ setzt er ‚die Kaiserlichen’. ‚Die’ oder ‚sie’, das sind nach dieser Sichtweise die zunächst überrollten braunschweigischen Truppen unter General Koch. Diese Truppen müssen nach Dürres Lesung erst elf Fähnlein sammeln, um den erfolgreichen Gegenangriff zu beginnen. Die durch Dürre irrtümlich ‚gebesserte’ Form des wichtigen Satzes zum Stadtbrand ist (auch) in anderen Wiedergaben grammatisch unklar. Dort fehlt das Subjekt für das Sammeln der ‚Fahnen’. In einer der gedruckten Überlieferungen des Olxheimb-Berichts werden jedoch von den Kaiserlichen vom Vorstoß 11 Fahnen erobert und nach Bevern gebracht: Das kommt der historischen Wahrheit relativ nahe.
Einer ganz falschen Interpretation entspricht folgende Wiedergabe: ‚Die Schweden … jagten den Feind über die Weser, und hierbei gelang es ihnen, dem fliehenden Feind 11 Fahnen abzujagen, die im Triumph auf unser Schloß gebracht wurden’. Hier wird die Reihenfolge der Handlungen, um die es geht, auf den Kopf gestellt.
Letzten Endes muß die Darstellung hier auf das Stichwort ‚Bevern’ zurückkommen. Erst bisher ungenutzte Akten verhalfen schließlich zu der Einsicht, daß tatsächlich elf ‚Fahnen’ gemeint waren und daß Bevern eine konkrete Rolle spielte. Der Vorgang in Bevern wird durch diese Quelle dermaßen gut begreifbar, daß es sich lohnt, ihn hier zusammenzufassen. Der Bericht mag ein wenig die Informationen ersetzen, die über die Vorgänge in Holzminden selbst leider fehlen.
Zentrale Gestalt in Bevern ist der braunschweig-wolfenbüttelsche Hauptmann Glaser, Anlaß der vorliegenden Protokolle ist ein kriegsgerichtliches Verfahren gegen ihn.
Hauptmann Glaser war mit seiner Einheit, meist frisch angeworbenen Soldaten, nach Bevern beordert. (Auch er selbst wurde erst im Mai 1640 in die Offiziersrolle eingetragen.) Am 19. September ritt er angesichts der nah heranrückenden feindlichen Truppen nach Holzminden. Obristleutnant Tilo Bortfeld erteilte ihm hier verschiedene Befehle: Nach einer fürstlichen Order habe er sich den Kaiserlichen gegenüber nicht ‚feindlich’ zu zeigen. Und er solle das Schloß in Bevern für einen Notfall als ‚Retirade’ freihalten – als Stützpunkt für einen Rückzug. Anscheinend machte den beiden in diesem Gespräch die Witwe Münchhausen[8] etwas Sorge. Glaser sollte (ihretwegen ?) die Schlossbrücke ‚mit glimpf’ besetzen, das heißt wohl möglichst friedlich.
Wegen der mit vier Soldaten besetzten Brücke wurde die Frau von Münchhausen tatsächlich dermaßen laut, daß Bortfeld noch am gleichen Tag ihrem Amtmann und dem Hauptmann den Befehl zur Verteidigung der Brücke und des Schlosses wiederholen musste. Glasers Bitte, den Befehl schriftlich zu bekommen, ließ der Obristleutnant mit ein paar forschen Worten ‚abblitzen’.
Abends schickte Glaser seinen Leutnant ins Schloß. Weil sich dabei im ‚Vorwerk’ viele Bauern drängten, die ins Schloß hinein wollten, ließ er die Brücke aufziehen.
Doch zwei Stunden vor Mitternacht nähert sich der Transport, der Glaser nun zum Verhängnis wird: es sind Rittmeister Marcus Temme von Holzminden ‚… nebst einem Sergeanten von H. Obristleutenand sambt 3 oder 4 Mußquetirer die Eilff Fähnlein vor das Hauß Bevern gebracht’. ‚So ich auch strack uffs Hauß bringen laßen’. Der Sergeant soll auch noch an die Weser reiten, ‚wo die bawren ihre Posten hetten’. Dieses Zitat liefert den einzigen Hinweis aus den durchgesehenen Quellen, daß hier gegen die anrückenden Kaiserlichen eingesetzt wurden.) Glaser selbst hatte die besser ausgebildeten seiner Soldaten an die Weser befohlen.
Bortfeld sendet am gleichen späten Abend zwei weitere Wagen nach Bevern, einen mit Pulver, der ins (!) Schloß gestellt wird, und einen mit Lunten und Kugeln. Es scheint, daß der zweite Wagen wegen eines plötzlichen Überfalls verloren geht.
Am Morgen des 20. will Glaser nach Holzminden reiten, begegnet jedoch unterwegs schon ‚starken’ feindlichen Trupps. (Halten wir fest: Die Stadt war am 19. nicht besetzt, wird aber an diesem Morgen des 20. schon eingenommen sein.) Er lässt zwar ‚den Schlagbaum’ schließen. Doch Rittmeister Temme lässt seine Reiter aufsitzen, den Zaun neben dem Schlagbaum durchbrechen und hinausreiten. Dann aber, da die überlegenen Gegner schnell herangekommen sind, wendet er sich zur Flucht.
‚In großer confusion’ flieht Glaser mit seinen wenigen Leuten ins Schloß hinein.
Nach Glasers Worten befiehlt Generalwachtmeister ‚Sarratezca’ selbst die Truppen, die nun Schloß Bevern attackieren. Ein Trommelschläger tritt zweimal vor das Tor. Ihm sagt er, wenn die anderen sich feindselig zeigen wollten, wäre er zur Verteidigung bereit. Beim zweiten Mal fordert der Trommler zur Übergabe auf. Glaser aber ruft zunächst einmal hinaus, die Verantwortung vor seinem Fürsten verbiete ihm so etwas.
Daraufhin kommt es zu einer ganz eigenartigen Begegnung mit jenem kaiserlichen Heerführer, der in den folgenden Tagen die Stadt Holzminden anzünden lassen wird: Der Trommler läßt sich versichern, daß Glaser bereit ist, den Generalwachtmeister selbst ‚uff parol’ – ohne auf ihn zu schießen – vors Tor treten zu lassen: jener wolle mit ihm reden. Sarratetz und ein Obrist Eppe[9] treten herzu. ‚… hatt mich erstlich gefraget, Was Ich vor einer were, habe Ich geantworttet, Ich were ein Haubtman von I. F. Gn. Hertzogen Augusto zu Braunsch. und Lüneb. p. Habe Ich wieder gefraget, Was er vor einer were, hatt Er auch geantworttet, Er were ein Generalwachtmeister, Und im Nahmen der gantzen Keyserlichen Generalität abgefertiget, Ich sollte uff paroll herunter kommen, Er wollte mit mir accordiren [einen Übergabevertrag abschließen] und I. F. Gn. die Fähnlein und alles was da were, ohngemolestirt [unbeschadet] paßiren lassen …’. Ein, wie man sagen könnte, hochrangiges Gespräch. … Doch der Hauptmann kann sich zu dem angebotenen Abzug ‚nicht verstehen’. Seine Verantwortung sei schwer, und er sitze dort rein ‚defensive’. Sarratetz muß ihm noch zugeredet haben: Erzherzog Leopold Wilhelm wolle doch nur einige Lebensmittel vom Haus Bevern. Wenn er hier hartnäckig bleibe, sei er selbst schuld am gewaltsamen Angriff, ebenso daran, daß man auch ‚ … I. F. Gn. Land alles in Brand stecken’ werde. [Redet hier jemand, dessen Truppen mit Brandfackeln gut versehen sind – wie in Holzminden ?)
Noch am gleichen Tage verschaffen Sarratetz’ Truppen dem Hauptmann ein zweites überraschendes Zwiegespräch: Sein Kommandeur, Obristleutnant Bortfeld, wurde in der Stadt gefangen und wird vor die Schlossbrücke geführt. Er soll ihn zur Aufgabe überreden und ruft tatsächlich: ‚Herr Haubtman, was will er thun, er gebe es auff’. Der Angeredete fragt ihn nur, ob Bortfeld die Verantwortung für die Fahnen und sonst mögliche Verluste übernehmen wolle. Der Gefangene zieht sich auf die zwiespältige Antwort zurück, er müsse tun, was er verantworten könne. – Auf eine daraufhin ihm zugerufene letzte Aufforderung zur Übergabe will Glaser, so in seiner Niederschrift, geantwortet haben, er wolle lieber auf dem Haus Bevern sterben.
Dazu aber kommt es nicht, weil in diesem Jahr 1640 längst auch Soldaten des Kämpfens und Sterbens müde sind. Glaser war bis vor kurz vor den geschilderten Vorgängen mit seinen Offizieren noch ‚uff Werbung’. Die ausgebildeten und zuverlässigeren seiner Soldaten waren in die Stadt und an die Weser geschickt. Was er bei sich hat, sind ‚ … newgeworbene weinig Knechte, worunter etzliche krank gewesen, Die Andere aber noch ohnexerciret’. Er verteilt die Leute ‚in die Zimmer herumb’ und bittet sie ‚umb Gottes willen’, ihre Pflicht zu tun. Er hat sie auch ‚ … zu Zeiten mit Zwangk angetrieben, Sie wollten und sollten sich doch wehren als redliche Soldaten, Da habe Ich mich aber betrogen befunden …’ Er hat sie ‚ … weder mitt gutem noch bösen zu keinem Schießen fast bringen können. …’ Die Soldaten hatten gesehen, daß einer von ihnen ‚im Fenster’ erschossen wurde. So ergreift Glaser selbst seine Pistolen und schießt, soviel es geht. Doch niemand macht mit: wegen ‚mangell des Beystandes’ muß er resignieren.
Aktiv ist inzwischen die Witwe Münchhausen. Sie ruft Diener und die zahlreichen, in den Schlosshof geflüchteten Bauern zusammen und will das Tor öffnen, nachdem sie einen kaiserlichen Offizier um Schonung gebeten hat. Glaser fürchtet nun um das Haus. Angeblich war auch mit Brandlegung gedroht worden, und an einer Zerstörung des Schlosses wollte auch er nicht schuld sein, wie er zu seiner Rechtfertigung schreibt. Mit Widerwillen – wegen der Fahnen – läßt er es daher endlich zu einem ‚Accord’ kommen. Den schließt er mit dem schon genannten Obristen Eppe ab. Nach der Unterschrift ist die kleine Besatzung unter Glaser ‚ … mit fliegenden Fähnlein, Völckern [Soldaten], Pagage, Sack und Pack abgezogen’.
Weit kommen sie nicht. Kaiserliche Soldaten plündern die Wagen. Glaser gelangt zwar noch aufs freie Feld, doch Eppe befiehlt ihm, die (zum Schießen notwendigen) Lunten zu löschen. Um den Überfall zu rechtfertigen, erhebt Eppe bemerkenswerte Vorwürfe: Der ‚Kapitän’ Glaser hat sich mit einer Handvoll Leuten dem Kaiser widersetzen wollen und die Gegner mit Vortäuschung einer größeren Zahl betrogen. Das war eine Frechheit. Zusätzlich verfügte er über keinen schriftlichen Befehl. Somit war doch wohl das gegebene Wort für nichts zu erachten.
Die elf Fahnen gelangen also nun in gegnerische Hände. Der hereingelegte Hauptmann berichtet, er habe Eppe gebeten, ihn und seine Leute wegen des erlittenen Schimpfes zu erschießen. Doch dieser ‚tröstet’: Auf Herzog Augusts ‚Begehren’ werde man die Fahnen zurückgeben. Glaser wird schließlich als Gefangener über die Weser weggeführt. (In kaiserlichen Händen blieb er wohl nur kurze Zeit. Hauptmann Glaser wurde wahrscheinlich schon im März 1641 aus herzoglich-braunschweigischem Arrest entlassen.)“.[10]
[1] Holzminden; HHSD II, S. 240f.
[2] Fürstenberg [LK Holzminden]; HHSD II, S. 157.
[3] Meinbrexen, heute Ortsteil von Lauenförde [LK Holzminden].
[4] Boffzen [LK Holzminden].
[5] Lüchtringen [LK Höxter].
[6] Beyenburg [Stadt Wuppertal], HHSD III, S. 72f.
[7] Bevern [LK Holzminden]; HHSD II, S. 46f.
[8] Dorothea von Bothmer, die 2. Frau von Statius von Münchhausen [5.6.1555 in Stolzenau – 27.3.1633 in Bevern].
[9] Johann] Wilhelm [Wennemar] von Epp[e]; Obrist [ – Dezember 1643] => Miniaturen.
[10] KIECKBUSCH, Von Ackerleuten, S. 291ff.